Mittlerweile ist es zum Trend geworden, Papier und Kugelschreiber durch ein Tablet mit einer schicken App zu ersetzen. Auf dem Weg zur Smart Factory ist das aber lange nicht genug. Die digitale Transformation der Fertigung muss deutlich weiter gehen und darf dabei nicht nur technologische Themen betrachten. Leider ist dieses ganzheitliche Verständnis noch nicht allzu weit verbreitet.
Ja, Digitalisierung bedeutet erst einmal, dass vormals manuelle Datenerfassung nun elektronisch erfolgt – aber es steckt deutlich mehr dahinter. Dazu sollten die Begriffe „Digitalisierung“ und „digitale Transformation“ erst einmal voneinander abgegrenzt werden. In einem nächsten Schritt muss jedes Unternehmen für sich entscheiden, welches Ziel es verfolgt und dann erarbeiten, welcher Weg dafür geeignet ist.
Digitalisierung vs. Digitale Transformation
Der Unterschied zwischen den beiden Begriffen, die doch recht ähnlich klingen, ist noch nicht vielen bewusst. Digitalisierung beschreibt zunächst einmal nur den Prozess, einen nicht digitalen Ablauf digital zu machen – also Papier und Kugelschreiber durch ein Tablet mit App zu ersetzen.
Die digitale Transformation betrachtet hingegen auch den Ablauf selbst und versucht diesen dahingehend zu optimieren, dass er besser und zielführender ist. Dabei kann es auch zu einer Veränderung des Ablaufs kommen, wenn sich herausstellt, dass sich daraus eine Verbesserung im Sinne der Effizienz, Ergonomie oder eines anderen Optimierungspotenzials ergibt. Daher beinhaltet dieser Begriff auch das Wort „Transformation“, was mit „Umwandlung“ oder „Veränderung“ gedeutet werden kann. Das mittlerweile oftmals bemühte Zitat „Digitalisiert man einen schlechten Prozess, so bekommt man einen schlechten digitalen Prozess“ (zugegeben, der original Wortlaut war etwas härter) drückt daher deutlich aus, dass es auf dem Weg zur Smart Factory mehr braucht als die reine Digitalisierung – es braucht eine digitale Transformation.
Wie in jedem Veränderungsprozesse braucht auch die digitale Transformation einen wohldurchdachten Plan. Daher beinhaltet der erste Schritt die Analyse des aktuellen Ist-Zustands.
Status quo – Das große Ganze verstehen
Um Details betrachten und verstehen zu können ist zwangsläufig ein Blick auf das Gesamtbild notwendig. Typische Werkzeuge für eine Bestimmung des Absprungpunkts sind Methoden wie der Wertstrom 4.0 oder die Prozessmodellierung mit BPML (Business Process Modeling Language).
Hierbei wird einerseits sichtbar, welche IT-Tools bereits heute im Einsatz sind bzw. wo noch Papier genutzt wird und andererseits welche prozeduralen Abläufe aktuell gelebt werden. Als zielführend hat sich erwiesen, dass bei einer Ist-Analyse sowohl Führungskräfte als auch Mitarbeiter aus der Fertigung dabei sein sollten. Denn oftmals weichen die gelebten Abläufe deutlich von dem ab, was das Management glaubt, wie es läuft. Eine Erkenntnis könnte beispielsweise sein, dass Daten aus der Fertigung auf Papier notiert, am Ende einer Schicht zum Meister gebracht und von dort aus per Hauspost an die Administration geschickt werden. Als Resultat daraus stehen die Daten frühestens am übernächsten Tag für Auswertung zur Verfügung – ob das zielführend ist, muss jedes Fertigungsunternehmen selbst entscheiden.
Üblicherweise wird bereits bei der Aufzeichnung der Abläufe die eine oder andere Ungereimtheit auftreten – Fertigungsunternehmen sollten sich aber davor hüten, bereits in dieser Phase der digitalen Transformation Veränderungen am Prozess vorzunehmen.
Definition des Soll-Zustandes – das Ziel vor Augen
Im zweiten Schritt sind Vorschläge zur Optimierung von Prozessen und IT-Einsatz angebracht und erwünscht. Auch bietet es sich in dieser Phase an, den Austausch mit anderen Fertigungsunternehmen zu suchen, die die Digitalisierung bereits durchlaufen bzw. zumindest gestartet haben. Außerdem gibt es diverse Beratungsunternehmen, die ihre Unterstützung bei der Ist-Analyse und auch bei der Soll-Definition anbieten. Auch hierbei sollten die Bedürfnisse aller beteiligten Personen (Mitarbeiter und Führungskräfte) berücksichtigt werden. Um das vorgenannte Beispiel aufzugreifen, könnte man einerseits die Erfassung der Daten im Shopfloor digitalisieren und andererseits den Umweg der Daten über den Meister einsparen. Wie das genau funktionieren kann, ist nicht Teil dieser Phase. Denn auch für diese Phase gilt: Es sollte nur der zukünftige Zustand definiert, nicht aber eine Auswahl konkreter IT-Tools getroffen werden.
Gezielte Suche nach Methoden und Werkzeugen
Sobald der Soll-Zustand final definiert und mit allen Beteiligten abgestimmt ist, geht es an die Suche und Auswahl geeigneter Werkzeuge zur Umsetzung. In der Regel sind einige der auch zukünftig zu nutzenden Tools bereits im Unternehmen vorhanden. In der Regel können die vorhandenen Arbeitsplatz-PCs im Meisterbüro oder in der Arbeitsvorbereitung weiterverwendet werden. Auch wenn bereits ein Manufacturing Execution System (MES) im Einsatz ist, sollte geprüft werden, in wie weit dieses die Anforderungen des Soll-Zustands erfüllt. Die digitale Transformation muss im Gegensatz zu vielen Expertenmeinungen nicht immer disruptiv sein – sie sollte aber ganzheitlich betrachtet werden. Damit ist gemeint, dass es wenig Sinn macht, nur einen Teil der Abläufe zu digitalisieren. Denn eine wesentliche Aufgabe der digitalen Transformation ist die Abschaffung von Medienbrüchen. Ein Medienbruch ergibt sich beispielsweise, wenn ein Mitarbeiter eine Information ausdruckt und manuell in ein anderes System einträgt. Auch die allseits beliebte „Copy-Paste-Methode“ ist ganz klar ein Medienbruch. An solchen Stellen sollte entweder über eine Integration bzw. Schnittstellenfunktion oder über eine Änderung der Erfassungsmethoden nachgedacht werden. Standard-Office-Anwendungen wie Outlook oder Excel führen meist zu neuen Schnittstellen – in den seltensten Fällen zur Reduzierung von Medienbrüchen. Dass Papier und Kugelschreiber keine geeigneten Werkzeuge für die digitale Transformation sind, sollte mittlerweile klar sein. Ein geeignetes Ziel könnte dabei sein, ein digitales Shopfloor Management einzuführen.
Weiterführung der Serie „Digitales Shopfloor Management“
Welche konkreten Anwendungen, Systeme und Produkte sich zum Aufbau eines digitalen Shopfloor Managements im Sinne der Smart Factory eignen, wird im zweiten Teil dieser Beitragsserien beleuchtet. Hierin wird sowohl auf die Nutzeneffekte eines MES-Systems eingegangen als auch weitere Aspekte des digitalen Shopfloor Managements herausgestellt.
Vorsicht Stolperfalle!
Da die digitale Transformation nicht nur technische, sondern auch organisatorische Änderungen mit sich bringt ist es von essenzieller Bedeutung, bei allen Mitarbeitern im Unternehmen die nötige Akzeptanz für die neuen Abläufe zu bekommen und auch aufrecht zu erhalten. Die bewährten Methoden des Change-Managements eignen sich auch für diese Art der Veränderung und sollten intensiv genutzt werden – entweder durch die Führungskräfte im eigenen Unternehmen oder durch externe Unterstützung. Fertigungsunternehmen sollten in keinem Fall die „Macht“ der Mitarbeiter unterschätzen. Denn eine Digitalisierung, die keine Akzeptanz im Unternehmen hat, ist noch viel schlimmer als gar keine. Zahlreiche Erfolgsgeschichten von Fertigungsunternehmen unterschiedlicher Branchen und Größen zeigen allerdings, dass auch diese Stolperfalle erfolgreich umgangen werden kann.
Digitale Transformation ist individuell und machbar!
Eines jedoch hat sich im Rahmen vieler Transformationsprojekte ganz klar herausgestellt: jedes Unternehmen hat andere Grundvoraussetzungen, andere Anforderungen und andere Ziele. Folglich ist auch die digitale Transformation für jedes Unternehmen eine individuelle Angelegenheit. Allerdings sollte darauf geachtet werden, trotz aller Individualität weitestgehend auf Standard-Lösungen zurückzugreifen. Hierzu zählen sowohl etablierte Vorgehensweisen und Methoden als auch Standard-Software und Anwendungen mit breiter Nutzerschaft. Denn erst durch die Nutzung von Standard-Lösungen können unnötige Insellösungen und neue überflüssige Schnittstellen vermieden werden. Und genau darum geht es bei der digitalen Transformation der Fertigung hin zur Smart Factory. Und um mit einem weiteren Missverständnis aufzuräumen: Lean Manufacturing bedeutet keineswegs die Vermeidung von IT. Vielmehr geht es darum, unnötige Komplexität zu vermeiden. Und wenn IT dazu dient, die unvermeidbare Komplexität zu beherrschen, dann ist diese sogar gewünscht. In diesem Sinne ist das digitale Shopfloor Management eine konsequente Weiterentwicklung von bewährten Methoden des Lean Manufacturing. Mehr dazu im zweiten Teil dieser Beitragsserie.
Weiterführende Information und Angebote
Produkte, Lösungen und Dienstleistungen von MPDV: https://www.mpdv.com/de/
Consulting und Trainings von Perfect Production:
https://www.perfect-production.de/