Auf dem Weg zur Smart Factory ist die Einführung von Fertigungs-IT ein wesentlicher Baustein. Dass es dabei nicht nur um Technik geht, davon kann Dietmar Müller, MES-Projektleiter eines mittelständischen Blechverarbeiters, eine spannende Geschichte erzählen.
Wie in den meisten Unternehmen unserer Größe lief bei uns in der Fertigung bisher vieles auf Zuruf oder mit Bergen von Papier. Geplant haben wir noch lange Zeit mit Pappkärtchen an einer Wandstecktafel und für jeden Auftrag gab es eine Mappe mit Zeichnungen, Arbeitsanweisungen und Rückmeldezetteln. Für unsere Mitarbeiter war das alles ganz normal – es lief ja auch. Mit IT hatten insbesondere die Werker nichts zu tun. Als der Meister den ersten PC in sein Büro bekommen hat, ging ein Raunen durch die Produktionshalle und jeder hoffte, dass es damit erst einmal genug IT für die Fertigung sei. Bekanntermaßen war das nicht der Fall.
Blick in die Vergangenheit: Erste Anzeichen von Fertigungs-IT
Den Beginn des sogenannten IT-Zeitalters merkten unsere Mitarbeiter zunächst an den Maschinen selbst. Die Bedienung fühlte sich immer mehr nach IT an. Aber an rein mechanischen Maschinen zum Biegen oder Bohren war davon noch nichts zu sehen. Erst mit dem ersten rudimentären BDE-System kamen PCs in die Produktionshalle. Und dort wurden diese neumodischen Kisten ziemlich argwöhnisch betrachtet. Wer nicht damit arbeiten musste, hielt sich davon fern. Kurz gesagt, von Akzeptanz war hier definitiv nichts zu spüren. Damals wussten wir es nicht besser und haben unserer Belegschaft einfach gesagt, dass sie jetzt damit arbeiten müssen, egal ob sie wollen oder nicht. Dementsprechend schlecht war die Datenqualität. Viele Buchungen wurden vergessen und mussten dann geschätzt und nachgetragen werden – ein enormer Aufwand! Die Auswertungen der Daten waren entsprechend löchrig und zeigten selten ein klares Bild der Produktion.
Heute: Aus Fehlern lernen
Vor zwei Jahren haben wir begonnen, ein neues System einzuführen – ein Manufacturing Execution System (MES). Dieses Mal wollten wir es besser machen und haben uns vorab informiert, was man beachten sollte, wenn man Fertigungs-IT einführen möchte. Zunächst haben wir mit unserem Betriebsrat gesprochen – immerhin betrifft das Thema unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die Kolleginnen und Kollegen vom Betriebsrat sind erst einmal auf eine Schulung gegangen und konnten uns dann die richtigen Fragen stellen: Welcher Zweck soll mit dem MES erfüllt werden? Welche Daten werden erfasst? Wird mit dem MES die Leistung einzelner Mitarbeiter überwacht? Und vieles mehr. Wir hatten in unserem Betriebsrat einen echten Sparringpartner gefunden und zusammen ein Konzept entwickelt, mit dem wir unsere Belegschaft von der Notwendigkeit des neuen IT-Systems überzeugen wollten.
Ein erster Schritt war ein kurzer Vortrag im Rahmen der halbjährlichen Betriebsversammlung. Ich selbst habe vor der versammelten Mannschaft gesprochen und erzählt, was wir vorhaben. Als Nächstes gab es Workshops mit kleineren Gruppen der Produktionsmitarbeiter:innen. Immer acht Personen zusammen haben an einem kleinen Planspiel teilgenommen. Wir haben mit Lego-Bausteinen eine Produktion simuliert und dabei schrittweise immer mehr MES-Funktionen vorgestellt. Am Ende waren zwar nicht alle vollkommen begeistert, aber dennoch war das Verständnis für die Notwendigkeit eines MES geweckt. Ein praktischer Nebeneffekt war, dass die Mitarbeitenden auch untereinander immer mehr über das kommende MES sprachen und es so immer mehr zu einem Teil des Alltags wurde – noch Wochen bevor wir das erste Shopfloor Terminal installiert haben.
Erst planen, dann machen
Dann haben wir drei besonders begeisterte Kolleg:innen ausgewählt und zu Key Usern ernannt. Diese drei Kolleg:innen durften an Schulungen teilnehmen, die beim MES-Anbieter stattfanden. Hier ging es zunächst um das Vokabular und einfache Grundfunktionen. Sukzessive lernten die Key User das MES kennen und berichteten der restlichen Belegschaft mit großer Begeisterung davon. Bei der nächsten Betriebsversammlung stellte einer der Key User den geplanten Funktionsumfang vor und zeigte an einer vorher präparierten Maschine, wie der Umgang mit der neuen Software funktionieren würde. Die ergonomisch gestalteten Bedienoberflächen und die einfachen Anwendungen überzeugten nun auch den letzten Mitarbeitenden.
Changemanagement: Nicht zu früh aufhören!
Anschließend haben wir das MES-System eingeführt und an jeder Maschine oder Maschinengruppe ein Shopfloor Terminal aufgestellt. Vom MES-Anbieter hatten wir erfahren, dass andere Kunden gute Erfahrung mit dem Gamification-Ansatz gemacht hatten – insbesondere kurz nach der Einführung eines MES. Das wollten wir auch ausprobieren und haben einen kleinen Wettbewerb unter den Werkern ausgeschrieben. Zum einen ging es darum, möglichst viele Buchungen korrekt einzugeben und so die Datenqualität sicherzustellen. Der bzw. die Beste sollte ein T-Shirt mit der Aufschrift „MES-Profi“ erhalten.
Zum anderen haben wir der kompletten Belegschaft das Ziel gesetzt, eine lückenlose Datenbasis für die Auswertung der Produktivität über einen ganzen Monat zu schaffen. Sobald das erreicht ist, wollten wir ein Grillfest für alle Mitarbeitenden ausrichten. Die Motivation unserer Belegschaft, das neue System richtig zu nutzen, war sehr hoch. Bereits nach drei Monaten produktiver Nutzung konnten wir das Grillfest ankündigen und gleich mehrere Mitarbeitende zu MES-Profis ernennen.
Endlich angekommen?
Mittlerweile ist das MES aus unserem Fertigungsalltag nicht mehr wegzudenken. Neulich hat mich sogar ein Kollege gefragt, wann es mal wieder eine Funktionserweiterung geben wird. Im gleichen Atemzug erzählte er mir von einem Bekannten, der in einem anderen Produktionsbetrieb angestellt ist. Dort arbeite man bereits mit Tablets. Ich frage mich, ob das auch für uns der nächste Schritt sein könnte. Am besten bespreche ich das mal mit unseren Key Usern und dem Betriebsrat.
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Zufriedene Nutzer von Fertigungs-IT sind kein Hexenwerk – Changemanagement heißt das Zauberwort. (Bildquelle: Adobe Stock, Kzenon)